Mein Ziel ist es das Beste aus jeder Situation zu machen. Das bedeutet nach einem schlechten Rennen besser zurückkommen, Verletzungen hinzunehmen und stärker zurückzukommen und bloß nicht aufgeben! Viele finden diese Einstellung lobenswert oder sehen sie sogar als notwendig an. Das das Ganze jedoch auch eine dunkle Seite hat, will oft niemand sehen…
Es war ein dunkler kalter Herbsttag in Deutschland. Das Training für die neue Saison hatte bereits begonnen und wir haben gefühlt wieder relativ von vorne angefangen. Alles schien eintönig und ich hatte irgendwie kein richtiges Ziel vor Augen. Wir radelten durch das kalte Umland von Frankfurt Oder und die alten Plattenbauten strahlten eine Hoffnungslosigkeit aus, die mir bis dahin unbekannt war. Meine Eltern hatten sich im Jahr davor getrennt, aber ich war der festen Überzeugung es sei mir egal. Typisch Teenager. Ich fühlte mich allein und sah einfach keinen Sinn. Damals wurde mir gesagt jeder fühlt sich mal so und es liegt an den dunklen Tagen. Wird alles wieder! Aus der heutigen Sicht denke ich, dass ich zu dieser Zeit meinen ersten depressiven Schub hatte.
Warum ich das denke? Weil mich dieses Gefühl bis heute verfolgt und ich es auch an den längsten und sonnigsten Tagen des Jahres haben kann. Jetzt ist es einfach zu sagen: du hast die Trennung deiner Eltern nicht verarbeitet. Ja das ist sicherlich ein Teil der Story und es hat lange gedauert eh ich es wirklich verarbeitet habe und nicht mehr sauer war. Aber ich weiß das es die beste Entscheidung meiner Eltern war und bin glücklich für ihr neues Leben. Der Groll ist weg, die depressiven Schübe blieben.
Depressionen sind komplex. Für mich ist ein Gefühl der Sinnlosigkeit, ein Gefühl, das mich die Erde anzieht und ich zu kraftlos bin irgendetwas zu machen. Das ist nicht geil und nicht gerade praktisch für das normale Leben oder gar so etwas wie “Leistungssport”. Das bedeutet nicht das ich mich die ganze Zeit so fühle oder ich mir etwas antun will. Es sind Schübe: sie kommen, sie gehen. Ich arbeite daran mich so gut wie möglich auf schlechte Tage vorzubereiten, damit ich so schnell wie möglich durchkomme. Und genau hier kommen wir zu meinen Bewältigungsmechanismus: NICHT AUFGEBEN!
Dieses Motto hat mir verdammt viel geholfen und leider ist es dadurch auch eine Art Zwang geworden es in jeder Lebenssituation anzuwenden. Ich habe seitdem ich 12 bin so ziemlich ununterbrochen Sport getrieben. Mal mit Leistungsauftrag, mal ohne, erst als Amateur und jetzt als Pro. Ja man muss hart trainieren, um etwas zu erreichen. Man muss mit sich selber kämpfen und es hilft nicht aufzugeben. Du kannst weit kommen, wenn du einfach nur weitermachst.
Man muss allerdings sehr stark aufpassen wie sehr man in dieses Loch reinrennt. Ich habe 2017 die Entscheidung getroffen Triathlon Profi zu werden, um mein Potential auszuschöpfen und zu sehen was ich erreichen kann. Mit diesem Entschluss habe ich angefangen mehr zu trainieren als je zuvor. Ich habe mich über jedes Warnzeichen meines Körpers hinweggesetzt und bin völlig übertrainiert und krank in Hawaii bei der Ironman WM angekommen. Das Rennen ging total in die Hose und danach lag ich 3 Wochen im Bett und konnte mich nicht mehr bewegen. Das habe ich natürlich nicht hingenommen und habe danach viel zu früh und viel zu hart wieder angefangen zu trainieren. Das endete damit das ich verletzt den Rest der Saison mit einem Bandscheibenvorfall zugucken musste. Im Jahr darauf ging es weiter und ich habe mir die Hüfte gebrochen. Aber hey nicht aufgeben! WEITER WEITER WEITER.
Ich wollte nicht aufhören oder weniger machen, weil ich Angst hatte meiner Depression in die Augen zu sehen. Die Frage ob ich überhaupt weitermachen kann oder nochmal überhaupt annährend etwas von dem Potential abrufen kann, das ich zuvor zeigen konnte, stand in den Sternen. Ich habe das so gut es geht verdrängt. Das ich meine Reise seit 2016 auf YouTube geteilt habe, wurde mir hier zum mentalen Verhängnis. Ich liebe es Videos zu schneiden und mein Training zu teilen. Wenn man jedoch wieder und wieder verletzt ist und in die Depression Hölle steigt, dann wird es zur Belastung sein Leben per Video zu teilen. Die Zwanghaftigkeit nicht aufzugeben lies mich dann noch Videos veröffentlichen, die ich hätte nicht produzieren sollen. Das Problem ist sicherlich auch ein gewisses Stigma gegenüber Depressionen. Viele sehen es als Schwäche an und schreiben einen ab. Davor habe ich auch Angst – immer noch! Aber es wäre so viel einfacher, wenn man sagen könnte was in einem abgeht.
Okay den letzten beiden Jahren waren also geprägt von Verletzungen und dunklen Zeiten in meinem Kopf. Ich bin aber hier und sehe positiver in die Zukunft als je zuvor. Warum? Ich verdanke vor allem Allie, die mir gezeigt hat das ich wertgeschätzt werde auch wenn ich nicht gewinne. Das Scheitern zum Leben dazu gehört und das ich es nicht ein paar Followern auf YouTube auf Biegen und Brechen recht machen muss. Sie hat mir gezeigt, dass das Leben so viel mehr ist. Das es eine Achterbahn ist und wir Höhen und Tiefen leben sollen. Ich akzeptiere meine Tiefen und depressiven Schübe für das was sie sind und das hilft mir wesentlich schneller durchzukommen. Die andere Sache ist mein Coahingbusiness. Es gibt mir eine unheimliche Erfüllung meinen Athleten zu helfen und ihre Entwicklung mitzuerleben, die mich teilweise stolzer macht als meine eigenen Siege.
Dieses Jahr habe ich öfter den je alles hinterfragt. Als Covid zugeschlagen hat und die Triathlon Welt stillgelegte, kam mir die Frage immer mehr in den Kopf: was machst du wenn du keinen Leistungssport mehr machst. Was kommt danach? Wer bin ich? Großes Thema für viele Sportler! Auch hier bin ich in den letzten Monaten durch einige Schübe gegangen. Das es täglich 45 Grad waren und ich tagsüber nicht wirklich lange draußen sinnvoll trainieren konnte, machte es nicht besser. Anfangs habe ich es mit Antidepressiva versucht, diese aber es nach einiger Zeit abgesetzt. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Viele Gespräche mit Allie. Ich habe mich einer Freundin von uns anvertraut, die in dem Gebiet arbeitet und einiges an Literatur an die Hand bekommen. Trauerbewältigung war eines der Bücher, welches überraschenderweise gut beschreibt was ein Athlet am Karriereende durchmacht. Karriereende?
Für die letzten 18 Jahre war alles auf Sport ausgerichtet. Von früh bis spät nichts anderes im Kopf. Es wird zu mehr als nur eine Sache, die man macht. Es wird zu dem was dich definiert und irgendwann wird das zum Problem. Ich will noch nicht aufhören, aber ich weiß das ich meinen Körper gut geschunden hab und er irgendwann sagen wird das es genug ist. Und ich will bereit sein für diesen Moment. Schaut euch die hbo Dokumentation “the weight of gold” an. Viele der Olympioniken fallen in ein Loch, in eine Identitätskrise. Ich liebe es zu trainieren, meinen Körper zu pushen und mich mit anderen zu messen. Ich bin noch keine 30 und ich denke ich habe noch hoffentlich einige Jahre im Sport, bevor das “Karriereende” wirklich ansteht. Ich weiß auch das ich noch einige Schübe haben werde und alles ein paarmal hinterfragen werde. Aber das ist okay so.
Depressionen in ihren verschiedenen Formen sind absolut Mist und ich wünsche es keinem! Ich hoffe allerdings das wir mehr darüber reden können und das dies im Endeffekt mehr Menschen helfen wird. Ich bin froh Allie an meiner Seite zu haben. Meine Athleten, die mir tägliche Erfüllung bringen. Das Leben ist gut, auch wenn es manchmal nicht so aussehen mag.
Bleibt nicht allein und sucht euch Hilfe, wenn es euch nicht gut geht.
Flo